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Lagebild Antisemitismus

Veröffentlicht am von Gerald Tauber

Ich habe mir am Wochenende den Spaß gegönnt die Broschüre Lagebild Antisemitismus 2016/17 der Amadeuo Antonio Stiftung mal genauer durchzulesen. Was mir bei der Lektüre als erstes aufgefallen ist, das die Autoren der Stiftung mit einer sehr einfachen Definition des Begriffes auskommen und sehr allgemein den Begriff Antisemitismus definieren. Wörtlich heißt es: 

Im vorliegenden Lagebild wird keine ganz starre Antisemitismus-Definition verwendet. Unter modernen Antisemitismus wird im Folgenden eine Feindschaft gegen Jüd_innen und Juden verstanden, die primär »die Juden« als Antriebskraft für empfundene soziale, ökonomische und kulturelle Missstände der kapitalistischen Moderne verantwortlich macht. 

Das könnte man sogar so stehen lassen, denn das ist die allgemein gültige Definition dessen was man unter klassischen Antisemitismus im allgemeinen versteht. Das könnte bezieht sich auf den weiteren Inhalt der Broschüre, da offenbaren sich einige Ungereimtheiten und teilweise auch offene Widersprüche zu der oben genannten Arbeitsdefinition. In der Einleitung wird festgestellt das die Zustimmung zum klassischen Antisemitismus in Deutschland seit Jahren rückläufig ist, in Punkt zwei wird jedoch festgestellt: 

Stattdessen äußern die Deutschen ihren Antisemitismus über Umwege, vielfach in Form von antisemitischen Aussagen mit Israelbezug (israelbezogener Antisemitismus) oder Geschichtsbezug (Post-Holocaust Antisemitismus).

Diese Aussage widerspricht dem Punkt eins und weist darauf hin das die Autoren die eigene Arbeitsdefinition bereits hier aufgegeben haben und den Antisemitismusbegriff wesentlich weiter fassen. Hier werden bereits zwei weitere Elemente der Definition von Antisemitismus hinzugefügt, der sogenannte israelbezogene Antisemitismus ist dabei die umstrittenste, eigentlich dient dieser Vorwurf in der Regel das Besatzungsregime das der Staat Israel im Westjordanland und dem Gazastreifen betreibt vor Kritik in Schutz zu nehmen. Im allgemeinen verschwimmen bei der Definition des israelbezogenen Antisemitismus die Konturen zwischen Wunsch und Realitäten, zwischen Politik und gesellschaftlichen Strömungen und ganz besonders Wichtig zwischen Krieg und Frieden. 

Unter Punkt eins „Rechtspopulismus“ werfen die Autoren der AfD und anderen Rechtspopulisten ein verzerrtes Israelbild vor. Wörtlich heißt es dazu: 

Hierbei sind zwei Ziele bestimmend: Israel wird zum einen als Bollwerk gegen »den Islam« angesehen. Zum anderen soll formulierte Israel-Solidarität Ausdruck dafür sein, dass man nicht antisemitisch ist, und es verunmöglichen, als rechtsextrem bezeichnet zu werden.

Das ist zwar alles ganz richtig, nur der wesentliche Punkt warum die Rechtspopulisten der AfD in Israel ein Vorbild und Bündnisgenossen sehen wird glatt übergangen. In Israel wurde der Rechtspopulismus wesentlich früher hoffähig als in Deutschland. Nimmt man den Werdegang des ehemaligen Ministerpräsident Menachim Begin, er und seine Partei Cherut wurden bekannt als Anti-Establishment oder Anti-Eliten-Populisten. Seine Partei Cherut wurde 1948 in einem Brief von 20 Intellektuellen als Partei mit einer faschistischen Agenda bezeichnet. Lang lang ist dies her, später wurde Begin Ministerpräsident und seine Partei die Cherut  ging im Likud auf, wobei sie als die bestimmende Kraft innerhalb dieser Partei bis heute gilt. Seit 2001 regieren durchweg Regierungen in Israel deren Mitglieder eine deutlich ausgeprägte rechtspopulistische Agenda vertreten. Nimmt man die Schas-Partei oder Namen wie Avigdor Libermann der mehrere Ministerposten und an verschiedenen Regierungen beteiligt war, aber auch der amtierende Premierminister Benjamin Netanjahu verfolgt eine rechtspopulistische Agenda. Die aktuelle Regierung unter Netanyahu wird als extrem rechtskonservativ-nationalistisch bezeichnet. Nimmt man dann einzelne Akteure aus dieser Regierung wie Tzipi Hotovely, Miri Regev, Danny Danon und Yariv Levin ist das Spektrum der Meinungsäußerungen so weit gefächert, das man diese sogar als faschistisch bezeichnen kann.

Was die Nationalisten und Populisten in Europa mit ihren israelischen Pendants vereint ist der primär rechtskonservativ-xenophobe-Ethnozentrische Nationalismus und Israel gilt bei vielen Rechtspopulisten als Vorbild, denn da regiert man ja schon. Die Autoren der Stiftung verwenden in ihrer Broschüre mehrmals den Begriff des jüdischen Staates, diese Bezeichnung ist der Ausdruck für ein ethnozentrisches Weltbild. Im Falle Israels bestätigt sich dieses Weltbild, ganz offiziell gibt es keine israelische Nation, oder israelische Nationalität sondern nur eine israelische Staatsbürgerschaft und eine jüdische Nationalität

Was in der Broschüre im übrigen fehlt ist der Umstand das Israel 1967 das Westjordanland, Ost-Jerusalem, die Golanhöhen und den Gazastreifen mit militärischen Mitteln eroberte und seit dem wenig Anstalten machte diese Gebiete wieder zu räumen. Der Staat Israel annektierte vielmehr am 18. Juni 1967 Ost-Jerusalem und 1981 die Golanhöhen und es drängt sich die Frage auf ob die Autoren der Broschüre diese völkerrechtswidrige Aneignung für ein legitimes Mittel israelischer Politik halten? Eines haben die Autoren schlichtweg vergessen, der Kernpunkt des Nah-Ost-Konfliktes ist die Besatzung des Westjordanlandes, Ost-Jerusalems, des Gazastreifens und der Golanhöhen durch den Staat Israel und nicht die Existenz des Staates Israel selber. Der eigentliche Knackpunkt beim Begriff des israelbezogenen Antisemitismus ist das der israelische Staat sich selber als den jüdischen Staat bezeichnet, dem zu Folge Kritik an den Entscheidungen und Handlungen der Staatsorgane immer als antisemitisch gedeutet werden können. 

Deutlich wird dieses unter Punkt vier: „In der Mitte der Gesellschaft“.

Im Grunde genommen dreht sich ab diesen Punkt alles weitere in der Broschüre um den israelbezogenen Antisemitismus. Nimmt man folgende Aussage: 

Israelbezogener Antisemitismus wird auch durch diverse Presseberichte gefördert, in denen Israel teils sehr bewusst dämonisiert wird. Selbst in den Hauptnachrichten der Qualitätspresse ist dies zu verzeichnen. So wurde im August 2016 in der ARD-Tagesschau und den Tagesthemen ein solch dämonisierender Bericht über die Wasserversorgung in den palästinensischen Gebieten mehrmals zur besten Sendezeit gezeigt. Dieser operierte mit Halbwahrheiten und Lügen (Israel würde die ohnehin knappe Ressource Wasser »streng rationieren«, so Moderator Jan Hofer in seiner Anmoderation) sowie mit bewussten Ausblendungen (z.B. dass Israel etwa ein Drittel mehr Wasser in die palästinensischen Gebiete pumpt, als in den »Osloer Verträgen« festgelegt ist, oder dass Lieferungen von in Israel geklärtem Wasser für die Landwirtschaft von offizieller palästinensischer Seite abgelehnt werden). 

Nutzung der Grundwasserressourcen im westjordanland im Jahre 2008 Quelle: The Applied Research institut- Jerusalem
Nutzung der Grundwasserressourcen im westjordanland im Jahre 2008 Quelle: The Applied Research institut- Jerusalem

So konstruiert man den israelbezogenen Antisemitismus, Fakt ist laut der WHO; UNO; UNHCR hat die palästinensische Bevölkerung einen sehr begrenzten Zugang zu Trinkwasser. Einem Palästinenser stehen pro Tag und Person zwischen 50 und 90 Liter Trinkwasser zur Verfügung, in einigen Gebieten der Westbank sinkt diese Menge sogar auf verfügbare 25-30 Liter/Tag und Person, einem Israeli hingegen dauerhaft 180 Liter. Im Gazastreifen hat im übrigen nur 10% der Bevölkerung Zugang zu sauberen Trinkwasser. Thats the Difference, diese kleine aber feine Differenz von knapp 100 Liter pro Tag und Person erinnert schon an eine Rationierung, wobei die von der WHO geforderte Mindestversorgung bei 120 Liter pro tag und Person beträgt. Wo da eine Dämonisierung vorgeführt wird bleibt ein Geheimnis der Autoren. Im übrigen lügen die Autoren wie gedruckt, Israel liefert nicht ein Drittel mehr Wasser als vereinbart, sondern die israelische Wasseragentur MEKOROT entnimmt dem Mountain Aquifer 80% des verfügbaren Wasser und liefert es nach Israel und den illegalen Siedlungen. Im Oslo II Vertrag Artikel 40 wurde im übrigen vereinbart das die Palästinenser 28,6 Millionen Kubikmeter Trinkwasser zusätzlich erhalten sollen, also zusätzlich zu den 118 Millionen Kubikmeter (MCM) die selbst aus dem Aquifer entnehmen dürfen. In einer 2009 erschienen Studie der Weltbank wird jedoch festgehalten das die Palästinenser lediglich 113 MCM dem Aquifer entnehmen können und die Entnahme der israelischen MEKOROT rund 50 bis 80 Prozent über der vertraglich vereinbarten Menge an Trinkwasser liegt. Was nun wiederum zu einer Überbeanspruchung des Aquifers führt und die Trinkwasserbrunnen der Palästinenser trocken fallen lässt, so das die Abhängigkeit von israelischen Wasserlieferungen nun wiederum steigt. Insgesamt wird festgestellt das die Investitionen in die Trinkwasserversorgung in der Westbank auf einem sehr niedrigen Niveau angesiedelt sind, neue Bohrungen, Ausbau und Wartungsarbeiten des bestehenden Leitungssystems auf palästinensischer Seite können nicht durchgeführt werden, da die israelischen Behörden die nötigen Genehmigungen nicht erteilen. Grundlage hierfür sind die Military Order 92 vom 15. August 1967, in der alle Wasserressourcen zum Staatseigentum Israels erklärt wird und die alleinige Verfügungsgewalt der Wasserversorgung der israelischen Militärverwaltung übertragen wurde. Die Military Order 158 vom 19. November 1967 verbot den Bau jedweder Wasserversorgung ohne Genehmigung der Militärverwaltung und die Military Order 291/68 machte jegliche Nutzung der Grundwasserressourcen von der Genehmigung der Militärverwaltung abhängig, was immer man davon halten mag, aber diese kleinen Fakten führen eines vor: entweder reden sich die Autoren die Lage in den von Israel besetzten Gebieten einfach schön oder sie blenden sie ganz bewusst aus. Frei nach dem Motto Gutes heiliges Israel, böse Palästinenser.  

Aber die Autoren der Amadeo Antonio Stiftung bringen ihre Agenda noch besser auf den Punkt, unter Punkt elf treffen sie folgende Aussage:

Es gibt über 190 Staaten weltweit, davon gelten mehr als 110 als parlamentarische Demokratien. Eine breite Boykottkampagne gegen einen gesamten Staat gibt es nur gegen Israel. Diese willkürliche Fokussierung auf Israel ähnelt der Fokussierung auf die Juden im Antisemitismus. Nicht Fakten, nicht Menschenrechte, sondern Ressentiments sind wegleitend für diese Positionierung.

Was sie vergessen zu erwähnen die BDS-Kampagne ist eine von Palästinensern gegründete Bewegung und diese richtet sich gegen die bis heute existierende militärische Besatzungsregime im Westjordanland und im Gazastreifen, das durch den Staat Israel etabliert wurde. Diese Gebiete welche auch bekannt sind als die palästinensischen Gebiete oder einfach Palästina. Aus diesem Grunde entfällt auch der Vorwurf der willkürlichen Fokussierung, denn dieser Fakt der militärischen Besatzung dieser Gebiete können die Autoren nicht wegreden, sie machen es viel besser, sie erwähnen dieses Faktum einfach nicht. Dieser Fakt findet sich in der gesamten Broschüre nicht ein einziges mal, im Grunde genommen beschäftigt sich die sogenannte Antisemitismusforschung auch nicht mit diesem Faktum. Das die militärische Besatzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens für die dort ansässige Bevölkerung, eben der Palästinenser, auch die Abwesenheit von Menschenrechten und simpler Freiheiten wie der Bewegungsfreiheit bedeuten erwähnen die Autoren der Amadeo-Antonio-Stiftung nicht ein einziges Mal und das von einer Organisation die sich der Förderung von Bürger- und Menschenrechten auf die Fahne gepinselt hat. Anscheinend geht es den Autoren nicht um die Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland sondern vielmehr darum eine Legitimationsgrundlage und Akzeptanz für andauernde Besatzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch den Staat Israel zu schaffen. In ihrer eher simplen Logik setzen die Autoren der Stiftung den Staat Israel, den Zionismus, das religiöse orthodoxe Judentum mit der Gesamtheit aller Juden gleich, dabei merken sie noch nicht einmal das sie dabei Anleihen an einer ethno-zentristischen Sicht- und Argumentationweise nehmen. Erkennbar wird dieses mit Formulierungen wie diese auf Seite zwölf nachlesbar:

wären dort Jüdinnen und Juden eine Minderheit und der jüdische Staat Geschichte.

Das ist die selbe ethnozentristische Argumentation wie sie nach dem Krieg 1948/49 von israelischen Politikern verwendet wurde um die Rückkehr der vor den Kampfhandlungen geflohenen rund 730.000 Palästinensern kategorisch zu verneinen und schließlich im 1953 in der Knesset verabschiedeten Rückkehrgesetz in juristischen Lettern zu meißeln, welches ganz nebenbei der Grundlagentext ist der die Erlangung der israelischen Staatsbürgerschaft bis heute regelt.

Den Schlusspunkt in ihrer Broschüre setzen die Autoren mit einem Kommentar von Miki Hermer, die selbstredend ein Hochlied auf den Staat Israel fast schon singt, es würde mich ehrlich gesagt schon interessieren wie das klingt. Diese behauptet doch tatsächlich:

Mitglieder der arabischen Community finden sich an allen Stellen der Gesellschaft und Politik wieder. In Gerichten, Schulen, Behörden und nicht zuletzt in der Knesset – dem israelischen Parlament. Alle Straßenschilder in Israel sind arabisch übersetzt, es gibt unzählige Programme zur Integration und Inklusion. Frauen besetzen höchste Positionen im Land. Arabisch ist Zweitsprache.

Manchmal ist auch der Wunsch Mutter des Gedanken von Frau Hermer, erst einmal unterscheidet man in Israel in die arabisch-jüdische Community und eine arabisch-christlich-muslimische Community, dann gibt es noch die Volksgruppen der Drusen und die der Beduinen. Offiziell gibt es in Israel zwar keine arabisch-jüdische Community, aber ich bezeichne die Nachkommen der Juden aus Ägypten, Algerien, dem Jemen, Marokko, Iran, Libanon, Tunesien und Syrien die nach dem Krieg 1948/49 nach Israel zwangsweise emigrierten der Einfachheit als solche. Bei dieser Gruppe kann man durchaus von einer Integration in die israelische Gesellschaft sprechen, wenn auch die Integrationsleistung erst in letzten 20 bis 30 Jahren erfolgte. Bei der arabisch-christlich-muslimischen Community kann man nur sehr eingeschränkt von einer Integration in die israelische Zivilgesellschaft sprechen, denn hier sprechen wir von den israelischen Palästinensern. Diese lebten bis 1966 in Israel unter Militärverwaltung in eigens dafür vorgesehenen Distrikten. Danach erhielten sie eingeschränkte Bürgerrechte und -Pflichten, incl. Wahlrecht und das Recht politische Parteien zu gründen. Aber der Militärdienst ist ihnen untersagt und das in einem Land in dem das Militär einen zentrales Element bei der Sozialisation in der Zivilgesellschaft darstellt. Den israelischen Gesetzen zu folge ist eine Beamtenlaufbahn einem israelischen Palästinenser verwehrt, dazu muss man den Militärdienst absolviert haben. Israelische Gesetze benachteiligen israelische Palästinenser u.a. beim Landerwerb, der freien Wahl des Wohnsitzes, der freien Wahl des Ehepartners und bei der Berufswahl. Außerdem ist laut dem Segelson-Bericht aus dem Jahr 2002 die Gefahr für einen israelischen Palästinenser wesentlich größer einer institutionellen Diskriminierung im Kernstaat Israel anheim zu fallen. Also von Integration oder gar Inklusion würde ich jetzt nicht unbedingt sprechen.

Also mein Fazit, mit der Analyse der antisemitischen Strömungen in Deutschland beschäftigt sich der Inhalt der Broschüre nur so nebenbei, als Hauptkristallisationspunkt für den Antisemitismus in Deutschland benennen die Autoren den sogenannten israelbezogenen Antisemitismus und analysieren dabei nicht einmal was der Hauptkritikpunkt am Verhalten des Staates Israel gegenüber der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland und dem Gazastreifen ist. Naja was immer man davon halten mag, eine neutrale Position nimmt die Amadeuo-Antonio-Stiftung in der Frage des Nah-Ost-Konfliktes anscheinend nicht ein, vielmehr befürwortet man eindeutig die israelische Position in diesem Konflikt und damit auch die Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten, wobei das Westjordanland in Israel ganz offiziell als Judäa und Samaria bezeichnet wird. P.S. Ich ganz bewusst auf Links im letzten Drittel verzichtet, aber die Fakten kann man gerne nachlesen. 

 

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