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Syrien und ein Mythos

Veröffentlicht am von Gerald Tauber

UN Fahrzeuge in Homs Quelle: UNICEF/UNI178367/Tiku

UN Fahrzeuge in Homs Quelle: UNICEF/UNI178367/Tiku

Vielfach ist heutzutage zu lesen und hören, die UNO hätte im Falle Syriens und speziell im Falle von Aleppo versagt. Ist dem so? Ich glaube eher nicht, denn was gescheitert ist die Wahrnehmung der Idee einer Weltgemeinschaft die alle die gleichen Ziele hätten. Man sucht meiner Meinung nach eigentlich einen Sündenbock für alles das was im Falle Syriens so schief gelaufen ist und vor allem will man eine Niederlage erklären, obwohl man selber offiziell gar nicht am Konflikt beteiligt ist. Nur wenn man einen Sündenbock sucht, ist man bei den Vereinten Nationen meiner Meinung nach wohl an der falschen Adresse.

- Erstens: Die Vereinten Nationen sind darauf aufgebaut, das wenn die Vetomächte im Sicherheitsrat sich einig sind die UN erst handeln kann. Im Falle Syriens gab es bis heute keinen Konsens über die Handlungsoptionen im Sicherheitsrat.

-  Zweitens: Das gesamte moderne Völkerrecht auf dem die UNO nun mal aufbaut ist streng gesehen ein Konsensrecht. Es gibt zu dem im Völkerrecht keine zentrale Gewalt, die diese durchsetzt, sondern das Völkerrecht ist primär von der Anerkennung der einzelnen Staaten abhängig. Das eigentliche Problem in Aleppo war wohl das auch nichtstaatliche Akteure an dem Konflikt maßgeblich beteiligt sind, eben die sogenannte Opposition. Diese ist von Hause aus nicht an das Völkerrecht gebunden.

Es kommt eigentlich auch auf die Perspektive an, aus der man eigentlich über Aleppo und Syrien im allgemeinen berichtet. Für den einen ist Aleppo gefallen, was eigentlich schon sehr vielsagend ist. Für den anderen wurde Aleppo befreit, dann gibt es noch die Sichtweisen Assad der Diktator und Assad der rechtmäßig gewählte Präsident Syriens, was eigentlich die entgegengesetzte Sicht widerspiegelt und in der sich die eigentlich die Haltung in und zu diesem Konflikt signalisiert. Das dabei die Berichterstattung über den Konflikt recht bizarre Formen annimmt liegt auf der Hand.

Nimmt man das Beispiel der Krankenhäuser von Aleppo, besser gesagt von Ost-Aleppo. Da gibt es tatsächlich erstaunliche Anzahl von Meldungen in denen berichtet wird, das das jeweils "letzte" Krankenhaus in Ost-Aleppo im Verlauf des Jahres 2016 zerstört wurde. Tatsächlich gibt es laut der WHO 10 Hospitäler in Ost-Aleppo, die für 300.000 Personen die medizinische Versorgung sicherstellen sollen. Das es Angriffe seitens der Regierungstruppen und ihrer Alliierten auf diese gab stimmt wohl und es gibt eigentlich keinen Grund dieses zu bezweifeln, nur der Trick liegt eben in der Übertreibung von dem jeweils "letzten". Reuters berichtete letztendlich darüber am 20. November, nachdem das tatsächlich letzte geschlossen wurde: 

Nach tagelangen Luftangriffen auf Aleppo ist den Behörden zufolge im Osten der syrischen Stadt kein Krankenhaus mehr funktionstüchtig.

Reuters

Naja wer jetzt die Behörden waren die dieses meldeten sei mal dahingestellt. Aber im ersten Halbjahr 2016 wurden Landesweit insgesamt 40 Angriffe auf Hospitäler vermeldet. Nimmt man zum Beispiel den Angriff auf das Omar Ibn Abdel Aziz Hospital in Al-Maadi (Ost-Aleppo) scheint die Quelle die Syria Civil Defense, besser bekannt als White Helmets, zu sein. Beim Angriff auf das Kafr Hamra Field Hospital am 14. Juli in Aleppo scheint die Quelle für den erfolgten Angriff das Syrian Network for Human Rigths zu sein. Einer Organisation die ihren Sitz in Großbritannien haben soll, wobei ich keine Postadresse identifizieren konnte.

Interessant wird es wenn man die Zahlen über Tote, Verwundete und Vermisste Personen, die zum Beispiel die UN-Organisationen, wie das UNHCR, zugrunde legt aus vier Quellen stammt:

- Syrische Regierung bzw. Regierungsorganisationen (GovSY)

- Syrian Network for Human Rigths (SNHR)

- Syrian Observatory for Human Rigths (SOHR)

- Syrian Center for Statistic and Research (SCSR)

Ja hier fangen alle fünf Probleme an, wie man unschwer erkennt stehen drei der Quellen der sogenannten Opposition nahe. Das SNHR und SOHR sind in dazu noch Großbritannien ansässig. Wo das SCSR ansässig ist, ist leider an Hand der Webseite nicht feststellbar. Laut UNHCR sollte es in Syrien ansässig sein, aber beim Amtsgericht Duisburg ist das SCSR als eingetragener Verein unter der Nummer 5392 eingetragen. Darüber hinaus gibt es noch das Syrian Center for Policy Research (SCPR), das in Damaskus ansässig sein soll, diese Organisation wird in einigen Dokumenten des UNRWA als Quelle und Kooperationspartner genannt.

Erschwerend kommt hinzu das die Berichtszeiträume der oben genannten Quellen an das UNHCR höchst different sind. Geht man von dem Dokument Updatet Statistical Analysis of Documantation of Killings in Syrian Arab Republic vom August 2014 aus berichteten das GovSy lediglich vom März 2011 bis April 2012 an das Büro des Hochkommissars für Menschen Rechte. Das SNHR und das SCSR legten Berichte von März 2011 bis April 2014 vor und die meistzitierte Quelle der deutschen Medien, das SOHR mit Sitz in Coventry, legte Berichte von März 2011 bis April 2013 dem Büro des Hochkommissars vor.  

Aber ich verlasse den UN Bericht jetzt ein mal, gehen wir den Zahlen nach die diese Organisationen veröffentlichen. Die Webseite des Syrian Networks for Human Rigths gibt wenigstens einen kleinen Einblick in die Organisation und Arbeitsweise. Laut Eigendarstellung ist die Organisation unabhängig, objektiv und arbeitet politisch neutral, wobei die Geldgeber der Organisation sowohl private wie auch staatliche Organisationen umfassen. Die Organisation arbeitet mit dem Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN und mit dem Sonderberichterstatter für Binnenvertriebene der UN zusammen. Das SNHR ist Mitglied im internationalen Netzwerk Every Casuality. Das SNHR veröffentlichte am 14. November 2016 folgende Zahlen: Während des syrischen Bürgerkrieges wurden seit März 2011 insgesamt 203.097 Zivilisten getötet, dabei sollen 188.792 Zivilisten allein durch die Regierungstruppen getötet wurden sein, also 92,92%. Auf die bewaffnete Opposition entfallen 3.668 Tote Zivilisten dicht gefolgt von den seit September 2015 in Syrien aktiven Russen töteten 3.558 Zivilisten, danach folgt die seit 2013 in Syrien aktive ISIS-Group mit 2.998 getöteten Zivilisten und die Fateh al Sham, ex al Nusra Front, tötete seit 2011 ganze 372 Zivilisten.

Das Syrian Observatory for Human Rigths ist laut Eigendarstellung unabhängig, nicht profitorientiert, objektiv und arbeitet politisch neutral. Sie veröffentlicht Zahlen über getötete Personen im syrischen Bürgerkrieg aber anscheinend allein in Presseveröffentlichungen, auf ihrer Webseite findet man selber keine Dokumente, die Rubrik Testimonies ist gänzlich leer. Auch auf die Finanzierung der Organisation wird nicht eingegangen. Über die Arbeitsweise zur Erstellung der Zahlen die die Organisation veröffentlicht ist auch nichts genaues zu erfahren. Im Juni letzten Jahres veröffentlichte die Organisation die Gesamtzahl von 320.000 getöteten seit 2011, im Jahr 2014 gab SOHR die Gesamtzahl von 220.000 getöteten seit März 2011 an. Aus der Pressemitteilung geht auch nicht hervor ob es sich bei den Zahlen nur um Zivilisten oder auch um Militärpersonal, bewaffnete Aufständische usw. handelt. Im oben genannten UNHCR Bericht wird darüber hinaus erwähnt, das die Organisation im Verlauf des Konfliktes keine Präzisierung ihrer Arbeitsweise vorgenommen hat. Alles ziemlich vage, im Gunde genommen eigentlich nicht viel verwertbares oder belastbares Material, aber dieser Umstand hindert selbst honorige Institutionen und Organisationen wie Oxfam, Amnesty, SIPRI oder HRW nicht daran die Zahlen von SOHR zu veröffentlichen.   

Das in Deutschland ansässige Syrian Center for Statistic and Research ist laut Eigendarstellung ebenfalls unabhängig, nicht profitorientiert, objektiv und arbeitet politisch neutral. Sie verfügt über ein großes Netzwerk von Beobachtern in Syrien, die über zwei Jahre Arbeitserfahrung haben und nach internationalen Standards arbeiten. Sie ist Mitglied bei dem internationalen Netzwerk Every Casuality, das unter anderen von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik finanziert wird. Laut der von der Organisation veröffentlichten Statistik sind im Zeitraum von März 2011 bis Dezember 2016 141.693 Personen in Syrien getötet worden, davon sollen 139.107 Zivilisten gewesen sein.

Bevölkerung in Aleppo Quelle: UNHCR

Bevölkerung in Aleppo Quelle: UNHCR

Ja und hier bin ich wieder bei meinen Fünf Problemen angekommen, wie man sieht sind die Arbeitsweisen der Datensammler in Syrien höchst unterschiedlich, auch die Zahlen die Veröffentlicht werden differieren extrem. Ebenso sind die Daten über die Toten im syrischen Bürgerkrieg der UN-Organisationen, Roten Kreuz, internationalen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, die zwangsläufig vom SOHR, SCSR und SNHR letztendlich stammen, ebenso lückenhaft wie auch tendenziell Parteiisch. Wie das SNHR darauf kommt das 92,92% der getöteten Zivilisten von Regierungstruppen ermordet wurden ist mir persönlich etwas schleierhaft. Ich nehme einmal an das die Gerneral Informations for Data Collectors, die unter der Rubrik Special Rapporteur zu finden sind, damit in Zusammenhang stehen. In diesen wird ausdrücklich auf Verletzungen von Menschenrechten durch Staatsorgane und mit ihnen verbundenen Organisationen, Alliierte & Co hingewiesen.   

e) Death owing to attacks by security forces of the State, by paramilitary groups, death squards or other private forces cooperating or tolerated by the Government

SNHR

Das dadurch alle getöteten Zivilisten, die in Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen, Dschihadisten usw. ums Leben kommen, zu Getöteten durch die Regierungstruppen werden erstaunt dabei nicht unbedingt. Diese Guidelines erwähnen mit keinem Wort die Rebellengruppen. Erstaunlich? Hat mich schon gewissermaßen Erstaunt, aber auch Nachdenklich gemacht.  

Das zum Beispiel das SOHR zur meistzitierten Quelle in den deutschen Medien (nur ein Beispiel bei n-TV) avancierte ist ebenso erstaunlich, da von Transparenz bei dieser Organisation kaum gesprochen werden kann. Problematisch finde ich die fehlende Dokumentation der veröffentlichten Zahlen und das die Organisation eigene Webinhalte löscht und die Medien die diese Information des SOHR als Referenz verwenden, werden dann teilweise vom SOHR als eigene Quelle für die Nachricht verwendet. Wenn man zum Beispiel versucht auf die Originalmitteilung des SOHR "2014 deadliest year so far in syrian Civil war" zuzugreifen, erhält man zur Antwort "The Page cannot be found". Diese Referenz verwendet Oxfam bei ihrem Bericht "Failing Syria" von 2015. Stattdessen findet man die Nachricht unter neuer Adresse, als Quelle verwendet das SOHR selber jetzt den Housten Chronicle. Die Tagesschau der ARD sagt zwar das das SOHR eine verlässliche Quelle für Ereignisse in Syrien darstellt, aber durch die Arbeitsweise der Organisation habe ich da meine Zweifel. Transparenz ist nun mal wichtig für die Glaubwürdigkeit.  

Wobei ich jetzt beim großen Mythos letztendlich angekommen bin, nämlich der Mythos der Zahlen im syrischen Bürgerkrieg die in den Medien und der Politik Verwendung finden. Realistische Zahlen kann eigentlich keine der Konfliktparteien liefern, selbst angeblich unabhängige Organisationen sind irgendwie in der Informationsgewinnung an eine der Konfliktparteien angebunden. Selbst die UN ist bei der Datenerhebung auf Organisationen wie dem SNHR und SCSR angewiesen, was im übrigen auf ein Manko in der Kooperation bei der syrischen Regierung unter Assad mit der UN zurückzuführen ist. Sie arbeitet in einigen Punkten in der Dokumentation des Bürgerkrieges nicht den UN Organisationen zusammen. Ein Fehler der UN? Ich würde mal sagen Nein, eher einer Assads. Zusammenfassend lässt sich sagen, sämtliche Zahlen zum syrischen Bürgerkrieg sind wohl objektiv gesehen nur mit äußerster Vorsicht zu genießen. Aber mit den Zahlen die unter anderem das UNHCR liefert wird eben auch Politik gemacht und Meinungen gebildet, eben darin besteht der große Mythos der Medien als unabhängige objektive Informationsplattform. 

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