Eine Studie über Rechtsextremismus und Ostdeutsche
Um es vorweg zu sagen ich halte die Bezeichnung Ost- und Westdeutsche für ziemlichen Kokolores, verbindet man damit doch eine geographische Identität die mit der ehemaligen innerdeutschen Grenze in Zusammenhang steht. Andere Synonyme für die Grenze zwischen DDR und BRD waren bekanntlich der Eiserne Vorhang oder die Mauer. Diese Grenze scheint aber immer noch latent in den Köpfen vorhanden zu sein, wenn man dann Studien liest wie Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie, Untertitel Die rechtsextreme Einstellung in den ostdeutschen Bundesländern. Erstellt vom Else Frenkel Brunswik Institut an der Universität Leipzig.
Mich persönlich stören diese Studien eigentlich nicht, nur die Schlussfolgerungen und deren mediale Aufarbeitung dann schon. Im MDR wurde dazu ein Artikel veröffentlicht in dem behauptet wird das zwei Drittel der Ostdeutschen eine Sehnsucht nach der DDR hätten, dem Wunsch nach einer einparteien Diktatur, statt pluralistischer Interessenvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht und
Gleichzeitig belegt die Studie eine hohe Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen in den ostdeutschen Bundesländern. Mehr als ein Viertel der Ostdeutschen zeigt sich ausländerfeindlich. Positionen mit eindeutig rechtsextremen Inhalten werden in einzelnen Bundesländern nur von 20 bis 30 Prozent abgelehnt, sieben Prozent vertreten sogar ein rechtsextremes Weltbild. Besonders ausgeprägt ist die Zustimmung zu rechtsextremen Gedanken demnach in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Die Aussagen im MDR-Artikel korrelieren mit den Formulierungen bei der Tagesschau oder der Münsterschen Zeitung. Also habe ich mir die Studie heruntergeladen und durchgelesen, mit einem etwas anderen Ergebnis, denn wichtig für die Beurteilung der Ergebnisse ist auch die Fragen bzw. Aussagen zu kennen die gestellt wurden und die Antwortkategorien die zur Auswahl standen. Im Anhang der Studie sind die 18 Fragen bzw. Aussagen aufgelistet und die prozentuale Angaben über Zustimmung und Ablehnung des Inhaltes der Fragen bzw. Aussagen. Die Antwortkategorien umfassen Skalenwerte von 1 bis 5, wobei 1 und 2 inhaltliche Ablehnung, 3 latente Zustimmung und 4 und 5 manifeste Zustimmung bedeutet. Der Begriff Latente Zustimmung bedeutet wenn man einer Aussage teilweise zustimmt und teilweise ablehnt.
Interessant fand ich das in Tabelle 2 auf Seite 12 der Begriff Manifeste Rechtsextreme mit geschlossenem Weltbild auf einem Medianwert von 7,1% aller Befragten der Studie kommt. Der Wert korreliert mit einer Studie der Bertelsmann Stiftung vor der Wahl 2021 die in der gesamten Bundesrepublik erstellt wurde und auf einen Wert von 8,0% aller Bundesbürger die ein manifest rechtsextremes Weltbild haben. In einer anderen Studie der Otto Brenner Stiftung liegt dieser Wert Bundesweit bei nur 2,7%, diese hatte jedoch andere Fragestellungen und Antwortkategorien, daher nur bedingt vergleichbar. Interessant ist aber auch das in der Leipziger Autaritarismus-Studie von 2022 folgende Aussage getroffen wird: die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen in der Bundesrepublik, insbesondere in Ostdeutschland, abnimmt.
Also da scheint mir der Osten vorerst kein Ausreißer in der Bundesrepublik zu sein, sondern eher im politischen Trend zu liegen. Sicherlich sind 7,1 bzw. 8% Rechtsextremer kein Ruhmesblatt, also an dem Problem würde ich auch arbeiten wollen, aber das gilt Bundesweit und ist kein Phänomen der östlichen Bundesländer. Bei Abbildung 16 wird die Haltung zur Demokratie nachgefragt, Ergebnis 90,6% Zustimmung zur Idee der Demokratie. Sicherlich liegt der Wert in den alten Bundesländern mit 94% höher, aber daraus zu Schlussfolgern das der Osten generell mit der Demokratie fremdelt, eine etwas gewagte Aussage wie ich finde. In diesem Punkt sollte es eine scharfe Abgrenzung zur Frage der Arbeit der Bundesregierung geben, die bekanntlich demokratisch gewählt wurde.
Ebenso die Aussage nach der Sehnsucht nach einer Einparteien Diktatur, 69,3% der Befragten lehnen lehnen eine Diktatur als Staatsform ab und 68% einen Führer, der Deutschland mit starker Hand regiert. Der Begriff Einparteien Diktatur ist etwas schwammig, umfasst eigentlich nur das politische System der NSDAP, denn in der DDR gab es zwar eine Einheitsfront in der Volkskammer unter Führung der SED, aber es gab neben der SED auch andere politische Parteien, die zusammen mit der SED die Einheitsfront nun wiederum bildeten. Man kann das jetzt als Haarspalterei abtun, aber diese Umfragen sollten eine etwas klarere Definition der Begriffe verwenden.
Man kann es auch weiter führen die prozentuale Zustimmung zu den Fragen und Aussagen stehen auf Seite 28 Tabelle 12. Wobei eines auffällt, bei den Fragen zu Ausländern liegt die Zustimmung zu den gestellten Aussagen meines Erachtens erstaunlich hoch. Also das Ausländer nur nach Deutschland kommen um unseren Sozialstaat auszunutzen ist zwar der Bestseller der extrem libertär national gesinnten Sichtweisen, aber genauso lange im Grunde widerlegt. Sonst gebe wohl in Deutschland keine Pizzerien, chinesische Imbisbuden oder Dönerläden. Wobei Ausländer ein extrem dehnbarer Begriff ist, denn er kann auch Deutsche mit Migrationshintergrund umfassen, es kommt auf die Definition des Begriffes an der abgefragt wird. Doch dazu findet man der Studie nun wiederum keinen Anhaltspunkt.
Die Problematik warum gerade negative Aussagen mit Bezug zu Ausländern bzw. Juden auf größere Resonanz stoßen, ja darüber gibt die Studie leider keine Auskunft. Man verweist zwar auf die Wahlerfolge der Deutschen Volksunion (DVU) in Sachsen Anhalt 1998, Wahlergebnis 12,9%, Brandenburg 1999 und 2004, aber diese Partei zog auch in das Landesparlament von Schleswig Holstein und in die Bürgerschaft der Hansestadt Bremen ein. Bei der NPD, die heute HEIMAT! heißt, sieht es ähnlich aus. Die NPD zog in den Landesparlamenten Mecklenburg Vorpommern 2006 und 2011, des Freistaates Sachsen 2004 und 2008 ein. Aber genauso entsendete die NPD Vertreter Ende der 1960er Jahre in Landesparlamente Baden Württembergs, Bayerns, Hessens, Niedersachsen und Schleswig Holsteins. Die Wahlerfolge der beiden rechtsextremen Parteien im Osten sind eher Einzelereignisse die objektiv nicht direkt mit dem Wendeerlebnis 1989, aber durchaus mit der Massenarbeitslosigkeit der 1990er/2000er Jahre einhergehen.
Zwischen 1991 und 1997 hat sich die Arbeitslosenquote der Frauen in Ostdeutschland fast verdoppelt (von 11,9 auf 21,6 Prozent), während der Anstieg bei den Männern in dieser Phase geringer ausfiel (von 8,7 auf 16,7 Prozent). Erst 2005 erreichte die Arbeitslosenquote der Männer in Ostdeutschland mit 21,3 Prozent ihren Höchstwert. Fast über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg ist der geschlechterbezogene Abstand der Arbeitslosenquoten in Ostdeutschland größer als in Westdeutschland.
Hinzu kommt noch die Auswirkungen der Agenda 2010, die besonders im Osten zu einer Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnissen und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen geführt hat. Hat jemand gedacht das die faktische Abschaffung der Sozialhilfe, der Striptease der eignen Vermögensverhältnisse, eigentlich sinnfreie Reformen im Gesundheitswesen und der sogenannten Rentenreformen, der Zwang eine Arbeit anzunehmen keine Auswirkungen auf politisch-soziale Einstellungen haben könnte? Der Wink mit den Zaunpfahl erkennen die Autoren der Studie nicht, sondern sie gehen davon aus das dieses strukturelle Vorhandensein rechtsextremer Ansichten schon da gewesen sei, wie erhellend. Die Auseinandersetzung mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Bundesrepublik unterbleibt in der Studie und folgt damit eher Ansichten die man in westdeutschen Bundesländern des öfteren zu hören bekommt, die Ursache sei die Sozialisierung in einer Diktatur. In der Studie gehen die Autoren zumindest soweit das Einkommensunterschiede sich in den politischen Präferenzen der Befragten widerspiegeln:
In allen Dimensionen stimmen diejenigen, die am unteren Ende der Einkommenspyramide stehen, rechtsextremen Aussagen am häufigsten zu. Je höher das Einkommen ist, desto weniger Zustimmung finden die Statements unseres Fragebogens in Ostdeutschland – mit Ausnahme der Dimension Sozialdarwinismus.
Ja die Dimension des Sozialdarwinismus, was war das noch mal? Hier enttäuschen mich die Autoren, denn sozialdarwinistische Ansichten entwickeln sich mit der sogenannten sozialen Frage, also dem Verhältnis der Bevölkerungsschichten zueinander, die mit dem Einkommen und dessen Entwicklung einhergeht. Während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert nahmen sozialdarwinistische Ansichten zu weil es eine Massenverelendung der sich entwickelnden Arbeiterklasse gab, das Phänomen ist bekannt als Pauperismus.
Wir erinnern uns an die Agenda 2010 und die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse in Ost und West? Das Bruttojahresgehalt im Jahre 2020 lag im Westen bei 43.939€, im Osten hingegen bei 36.499€. Okay es gibt auch Unterschiede von Nord nach Süddeutschland, aber auffallend ist das der Einkommensunterschied von Nord-nach Süddeutschland in Bundesländern der alten Bundesrepublik geringer ausfällt, als der Unterschied zwischen Ost-und West. Allein die unterschiedliche Einkommensentwicklung zeigt recht deutlich, Menschen im Osten können sich benachteiligt fühlen allein aufgrund ihrer geographischen Zuordnung, das fördert allgemein gesprochen die Abneigung gegenüber Menschen die in das regionale Sozialgefüge hinzukommen bzw. einwandern. Hinzu kommt dann noch ein Phänomen das Dirk Oschmann in seinem Buch "Der Osten, einer Erfindung des Westens" treffend beschreibt, das der Einfluss der Deutschen, mit einer DDR-bzw. Ostbiographie, in der Bundesrepublik recht gering zu seien scheint. Man könnte da schon eher von einer Ausgrenzung sprechen. Das impliziert das Denkmuster wie die Grundhaltung zu Inklusion und Genderfragen eher ablehnend im Osten verhandelt werden, da sie als westliches Gedankengut angesehen werden, typischer Alltagsrassismus hingegen als Teil dieser Ablehnung aufgefasst werden.
Parteien wie die AfD nutzen dann in ihrer Kommunikation diese Ablehnung einfach aus, indem sie diese als Teil ihrer eignen Strategie ausgeben. Das interessante daran ist das die autoritär populistische Programmatik der AfD, die im übrigen ebenso ein Westprodukt ist, im Osten anklang findet da sie mit dem Vokabular wie Heimat, Volk, Vaterland auch gleich konservative nationalgesinnte Gemüter anspricht. Das sind die neuen Kampfbegriffe einer eher nationalen Ideologie die über die Sprache Transportiert und zu Slogans werden, aber eigentlich ohne Inhalt sind, denn jeder stellt sich etwas anderes darunter vor, aber immer Schnittmengen untereinander aufweist, eben der Slogan. Aber der Slogan bietet auch den kleinsten gemeinsamen Nenner an, den wir als Deutsche nun einmal haben: die deutsche Sprache. Das in Deutschland das Phänomen der rohen Bürgerlichkeit seit mehr als 20 Jahren immer mehr Anklang findet ist keine Neuigkeit. Vor Gründung der AfD eine immer weitergehende Entsolidarisierung in größeren Bevölkerungsteilen zu beobachten war, darauf verwiesen bekannte Studien. Diese Atomisierung oder besser gesagt Singularisierung der Gesellschaft ein Produkt neoliberalen Handels in der Politik ist, das ist ebenso belegbar. Das die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen eher als Ballast in der entwickelten kapitalistischen bürgerlichen Gesellschaft angesehen wurden, tja das kann man auch belegen, ich erinnre mich noch gerne an Guido Westerwelle und die spätrömische Dekadenz. Das die AfD eine Art Verstärker für diese gesellschaftliche Entwicklungen ist dürfte auch allgemein bekannt sein, denn die autoritär populistischen Programmatik der AfD konzentriert sich auf libertäre, völkische und sozialdarwinistische Programmpunkte. Das macht im übrigen auch der Werdegang der Partei ziemlich deutlich.
Aber nun kommt eine Studie die diese gesellschaftliche Entwicklung sicherlich dokumentiert, aber keine Analysen anbietet wie diese Entwicklung sich entwickeln konnte, sondern da auch mit Stereotypen arbeitet. Eine Ursachen Wirkung Analyse wäre recht hilfreich um die Ergebnisse der Studie einordnen zu können und Handlungsempfehlungen für die Politik zu erarbeiten. Nein da entscheiden sich die Autoren der Studie dieses wohl eher heiße Eisen nicht anzugehen. Eigentlich Schade, denn so bekommt diese Studie einen etwas faden Beigeschmack, dem des Ossi-Bashings.
Studie: Viele Ostdeutsche fremdeln mit Demokratie und wünschen sich autoritären Staat | MDR.DE
Ausländerfeindliche Aussagen werden akzeptiert, der Wunsch nach einer autoritären Herrschaft ist ausgeprägt: Eine neue Studie zum Zustand der Demokratie stellt vor allem Mitteldeutschland ein ...
https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/studie-ostdeutschland-demokratiefeindlichkeit-100.html